Geschichte der Steingutfabrik Torgau (1926 - 1948)

Geschichte der Steingutfabrik Torgau

 

Die Steingutfabrik Torgau gehörte als Zweigwerk zur Firma  Villeroy & Boch. Sie wurde in den Jahren 1926/27 auf Anweisung des  damaligen Generaldirektors Luitwin von Boch-Galhau senior errichtet. Dazu  wurden Gebäude und Grundstück des stillgelegten Eisenhüttenwerks  Linke-Hoffmann-Lauchhammer aufgekauft. Das Grundstück hatte eine Größe von  17.122 m2 im Wert von 25.683 RM und der Kaufpreis betrug, vorhandene Gebäude  und Einrichtungen eingeschlossen, 160.000 RM. Die Steingutfabrik wurde in den  vorhandenen Gebäuden eingerichtet. Später wurden weitere Gebäude angebaut.

 

Das Betriebsgelände wurde 1936 durch Ankauf des  Nachbargrundstücks der Fabrik Marx & Moschütz erweitert.

 

Die Steingutfabrik Torgau wurde seit ihrem Aufbau der  Villeroy & Boch Keramische Werke AG angegliedert, die dieses Werk von der  Firma Villeroy & Boch Kommanditgesellschaft Mettlach gepachtet hatte. 1935,  mit der Rückgliederung des Saarlandes, wurde der Pachtvertrag aufgelöst und das  Werk unter Leitung der Kommanditgesellschaft betrieben.

 

Die Fabrik wurde 1927 mit einer Belegschaft von ca. 300 Gefolgschaftsmitgliedern und einer Leistung von ca. 1200 to im Jahr in Betrieb  genommen. Sie wurde modern eingerichtet und die Produktion stieg stetig an.  1930 wurden 2 neue Tunnelöfen aufgebaut und damit eine Produktionssteigerung  erreicht. Der Tunnelofen entsprach dem neuesten Stand der Technik und arbeitete  weitaus effektiver als der bisher gebräuchliche Rundofen. 1938 beschäftigte die  Fabrik schon ca. 1100 Arbeiter mit einer Leistung von ca. 9000 to im Jahr.

 

Der Betrieb stellte sanitärkeramische Erzeugnisse  (Waschbecken, Toiletten) und gebrauchskeramische Erzeugnisse (Teller, Tassen  etc.) her. Die Produkte wurden im Inland abgesetzt, aber auch in großem Maße  ins Ausland exportiert. Zu den wichtigsten Exportländern zählten Dänemark,  Norwegen, Schweden und Rumänien. Außerdem wurden geringere Posten auch in viele  andere europäische Länder exportiert. Vor Kriegsausbruch wurden auch Erzeugnisse  der Steingutfabrik Torgau nach Amerika, Afrika und Asien geliefert. Diese  Lieferungen und auch Lieferungen nach Griechenland, Litauen, Jugoslawien und  Polen wurden bis 1940 eingestellt. 1942 betrug der Gesamtumsatz der  Steingutfabrik Torgau ungefähr 836.000 RM (davon Inland ca. 749.000 RM und  Ausland ca. 87.000 RM), 1943 schon 1.421.000 RM (davon Inland 1.262.000 und  Ausland 159.000). Das entspricht einer Steigerung von ca. 70% gegenüber dem  Vorjahr. Der Krieg führte also zu einer beträchtlichen Steigerung des  Warenumsatzes.

 

Der Betrieb stellte bis Herbst 1941 seine Erzeugnisse auf  der Leipziger Messe im Grassi-Museum aus.

 

Mit Kriegsbeginn wurden in Torgau von den 1160 zu dieser  Zeit beschäftigten Gefolgschaftsmitgliedern 500 abgezogen, einesteils zum  Heeresdienst und zum anderen Teil zum Einsatz in kriegswichtigen Industrien.  Das hatte eine Produktionssenkung auf 65% zur Folge. Der Betrieb wurde auch  später oft zu Aushebungen herangezogen. Die Beschaffung von Arbeitskräften  wurde zum Hauptproblem. Es kam zum Einsatz von Kriegsgefangenen und  Arbeitskräften aus dem Gefängnis. Im Oktober 1940 betrug der Arbeiterbestand an  französischen Kriegsgefangenen, deutschen Militärgefangenen und Zivilgefangenen  etwa 250 Personen. Die französischen Kriegsgefangenen waren auf einem außerhalb des Fabrikgeländes gelegenen Grundstück der Fabrik in besonderen Baracken untergebracht und standen unter Aufsicht. Die anderen Gefangenen waren nur während der Arbeitszeit in der Fabrik und wurden von Wachmannschaften beaufsichtigt.  Später kommt es auch zum Einsatz von russischen Kriegsgefangenen und  Ostarbeitern.

 

An Versorgungseinrichtungen für die Arbeiter des Werkes sind  zu nennen die Kleingärten, die Werkssiedlung, die Unfallversicherung in der  Töpferei-Berufsgenossenschaft, die Kantine und die jährlichen  Weihnachtszuwendungen.

 

Direktor des Betriebes war seit dem 1. Januar 1930 Wilhelm  Schäfer, der neben seiner Tätigkeit als Fabrikdirektor auch Beirat der  Industrie- und Handelskammer zu Halle, Vertrauensmann der Wirtschaftsgruppe  Mittelelbe, Vorsitzender der Preiskommission des Steingutverbandes und  Vorsitzender der Exportkommission der Wirtschaftsgruppe Keramische Industrie war.

 

Die Fabrik war eingegliedert in die Organisationen  Steingutverband e. V., der im März 1943 aufgelöst und in die Gemeinschaft  Gebrauchskeramik einbezogen wurde, die Industrie- und Handelskammer zu Halle,  die im Januar 1943 in die Gauwirtschaftskammer Halle Merseburg überführt wurde,  seit Januar 1943 in die neu gegründete Gemeinschaft Sanitärkeramik und andere.  Bei der Töpferei-Berufsgenossenschaft war der Betrieb gegen Unfälle versichert,  die Feuer- und Haftpflichtversicherung lief beim Gerling-Konzern.

 

Durch Fliegerangriffe wurde der Betrieb nicht betroffen.  Jedoch sind öfter Brände zu verzeichnen. So brannte am 19. Januar 1940 das  freistehende Frittegebäude und am 17. September des gleichen Jahres die  Unterglasurmalerei und Brennhaushalle nieder. Am 23. April 1939 wurden das Dach  und die obere Etage des Drehereigebäudes durch Feuer zerstört. Am 13. Oktober 1945  brannte im Fabrikgelände eine Holzfachwerkbaracke nieder.

 

Am 14. April 1945, bei Räumung der Stadt Torgau, wird die  Fabrik stillgelegt. Die Produktionseinrichtungen wurden durch die  Kampfhandlungen nicht in Mitleidenschaft gezogen, dafür aber die Büroräume  verwüstet und geplündert. Am 14. Mai erteilte die sowjetische  Militärkommandantur die Genehmigung für die Wiederinbetriebsetzung der Fabrik.  Die ehemalige Gefolgschaft begann mit Aufräumungsarbeiten und der Vorbereitung  zur Wiederaufnahme einer Produktion. Der Betriebsrat wurde am 11. Juni  gebildet. Ende Juni wurde der erste der 4 Tunnelöfen in Betrieb gesetzt und  eine geringe Produktion aufgenommen. Zu dieser Zeit arbeiteten 294 Arbeiter im  Betrieb. Bis Ende August wurde die Zahl der Arbeiter auf 302 erhöht. Trotz  Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Rohstoffe und dem Transport wurden  monatlich 141 to Erzeugnisse hergestellt. Vom September 1945 bis November 1945 wurde  der Betrieb von der sowjetischen Besatzungsmacht zu 75% demontiert. Die Produktion musste abermals stillgelegt werden, da die Arbeiter die  Demontagearbeiten durchführen mussten. Das Werk in Dresden wurde zu 100%  demontiert. Nach der Demontage wurde mit dem einen verbliebenen Tunnelofen eine  kleine Produktion von 20 to monatlich aufgenommen, die bis Februar 1946 auf 73  to gesteigert werden konnte. Hauptsächlich wurden sanitäre Erzeugnisse für  Reparationsleistungen hergestellt.

 

Gemäß Anordnung 311 vom 21. April 1946 der Sowjetischen  Militäradministration wurde die Steingutfabrik Torgau in die Verfügungsgewalt  der Provinz Sachsen übernommen, also enteignet. Nach wiederholtem Einspruch des  Generaldirektors Luitwin von Boch-Galhau und weil man keine faschistische  Belastung der Kapitalseigner nachweisen konnte, wurde die Enteignung im August  1946 rückgängig gemacht. Dem vorausgegangen war auch ein Schreiben des  Betriebsrates mit der Bitte um Rückgängigmachung der Enteignung. Im März 1948 wurde die Fabrik dann endgültig enteignet, obwohl starke Beteiligung an  ausländischem Kapital vorhanden war. Der Betrieb wurde der Vereinigung
volkseigener Betriebe - Land Sachsen - Kaolin, Glas, Keramik unterstellt.

 

Direktor Wilhelm Schäfer, der vorher schon zweimal wegen  „reaktionären Verhaltens“ degradiert worden war, aber wegen Haltlosigkeit  dieser Vorwürfe und Eintretens des Betriebsrates für ihn rehabilitiert wurde,  setzte sich im Februar 1949 in die westlichen Besatzungszonen ab. Sein Eigentum  und seine Wohnung wurden beschlagnahmt.

 

In der Zeit zwischen Aufhebung der ersten Enteignung und der  endgültigen Enteignung wurde der Betrieb aus Firmenmitteln wiederaufgebaut und
beträchtliche finanzielle Unterstützungen an das Werk Dresden, welches nach
vollständiger Demontage unter dem neuen kommunistischen Fabrikdirektor Beyer
wiederaufgebaut wurde, geleistet.

 

Quelle: Internet Staatsarchiv Leipzig